Evolution über ein viertel Jahrhundert
Cannondale revolutionierte in den 90er Jahren einst den Rennradsport. Der Wendepunkt der Dominanz italienischer Stahlrahmenbauer in der Rennradszene kam spätestens zu dem Zeitpunkt als Italiens Mario Cipollini auf Aluminium Cannondale Rahmen Made in USA reihenweise Rennen gewann und dann vor laufender Kamera lauthals proklamierte: «Cannondale makes the best bikes!». Das Ende der grossen Stahlrahmenbauer war eingeläutet.
Seitdem ist über ein viertel Jahrhundert vergangen und Rennräder sind populärer denn je. Die Entwicklung ist enorm vorangeschritten; Kohlefaser Verbundstoffe, Elektronik und Verbesserungen in Aerodynamik wie auch die Abhebung der Marken untereinander durch «Industrial Design» und branding haben dazu geführt, dass Rennräder verschiedener Marken ihre eigenen Charaktere entwickeln konnten. Und hier, im Branding, in der Charakterbildung ihrer Rennrad Rahmen, ist Cannondale einen Schritt weiter gegangen als alle anderen, und zwar indem sie ihrem ursprünglichen Charakter treu geblieben sind. Seit der Revolution in den 90er Jahren wurden Cannondale’s Rennräder stetig weiterentwickelt, aber nie verlor das Cannondale Rennvelo seinen ursprünglichen Charakter, bis heute nicht.
Pic: Cannondale SR-300 Alu Rennrad 1984. Quelle: Vintage Cannondale
Das erste Cannondale Rennrad mit Aluminium Rahmen wurde Ende 1983 auf dem amerikanischen Markt vorgestellt. 10 Jahre später, im Sommer 1993, erhielt ich zu meiner Konfirmation mein erstes Cannondale Rennrad, einen der ersten 2.8 Series Rahmen, in GS Wüthrich pink-blau Speziallackierung und Edco Komplettgruppe. 1996 folgte das Saeco-Cannondale Team dem guten Beispiel der GS Wüthrich und fing an auf den Alu Rennrädern Rennen zu gewinnen.
Offizielles Gruppenfoto der Gruppo Sportivo (GS) Wüthrich von 1992
Vor kurzem bin ich das erste mal das neuste Cannondale SuperSix Evo HM gefahren, habe mir die Zeit genommen das Rad, seinen Charakter, besser kennen zu lernen und mich im Detail mit dieser neuesten Generation in der Cannondale Evolutionsgeschichte auseinander zu setzen.

Design:
Während die dicken Alu Rohre in den 90ern eine Revolution waren, kommt das Cannondale im Vergleich zu vielen Zeitgenossen heute extrem klassisch daher. Manche werden die feinen Linien und Rundungen und die delikaten Details des auf Understatement gebauten Rahmens als die schlichte Schönheit wahrnehmen die sie ist. Andere werden im klassischen Look zu wenig Aggressivität spüren. Es wird ihnen an «Design-Lärm» fehlen; dem Lärm der gesehen werden will wie die schnittigen Linien und aggressiven Ecken eines Lamborghini; eine Formsprache die nun sogar von Mercedes Benz effektvoll genutzt werden. Wäre das SuperSix ein Auto wäre es wohl ein Porsche 911; runde, weiche Linienführung welche den Rassesportcharakter des Bikes im Zaum halten. Cannondale zeigt Mut zur Klassik und bleibt einer Formsprache treu welche die amerikanischen Ostküstler von Cannondale auszeichnet; mit jeder Iteration werden Details des Vorgängers verbessert, Schritt um Schritt in Richtung Perfektion.
Ein Designelement welches den Rahmen so klassisch aussehen lässt ist das Oberrohr welches beim 56cm Rahmen um knappe 55mm abfällt. Italiener wie Basso oder auch die amerikanischen Specialized «slopen» hier bis zu 80mm. Auch die Sitzstreben sind sehr klassisch gehalten; zwei dünne Röhrchen setzen genau dort an wo sich Oberrohr und Sitzrohr treffen; entgegen dem Trend welcher von Marken wie BMC vor Jahren schon eingeläutet wurde, wo die Sitzstreben auf etwa zwei drittel Höhe des Sitzrohres anlegen. Der allgemein filigran gehaltene Hinterbau und die schlanke Gabel runden den Gesamteindruck dieses zeitlosen Klassikers ab. Neben dem klassischen Look hat das wenig abfallende Oberrohr noch einen sehr praktischen Vorteil: Wenn man in einer Abfahrt in Sagan-Froomsche Aeroposition geht um so richtig windschnittig den Berg runter zu jagen (nicht praktikabel für die allermeisten Fahrer) dann ist das um 10 – 30mm höhere Oberrohr angenehmer um halb sitzend etwas Belastung von den eh schon überlasteten Beinen zu nehmen ; ) .
Geometrie:
Die Sitzrohrlänge des 56er SuperSix ist mit 576mm relativ lange was nicht mehr und nicht weniger heisst als, dass die 25.4mm Durchmesser Sattelstütze nicht sehr viel aus dem Rahmen schaut bei einer (meiner) Schrittlänge von 83cm. Umso erstaunlicher ist daher, dass die Stütze trotzdem noch so stark flex kann (Vibrationen dämpfen hört sich wohl besser an); ein Effekt den Cannondale mit ihrem Microsuspension Konzept SAVE so zu erzielen versucht – und dies effektreich hinkriegt.
Chart: Cannondale SuperSix Evo HM Geometrie. Quelle: www.cannondale.com
Ober- & Steuerrohr Länge, Sitz- & Lenkkopf Winkel, Gabelvorlauf & Trail wie auch Kettenstrebenlänge und Tretlagerhöhe identifizieren Cannondale dann ganz klar als den aggressiven Racer der in ihm steckt; Steile Winkel, kurze Streben, tiefes Tretlager und eine sportlich tiefe Front stehen für Agilität, Windschnittigkeit und einen tiefen Schwerpunkt der besonders beim schnellen Kurvenfahren Sicherheit und Kontrolle bringt. Im Vergleich zum Durchschnitt der Grand Tour Räder ist Cannondale ein paar Millimeter tiefer am Tretlager, ein klein wenig kürzer am Hinterbau, und um 0.2–0.3 Grad flacher im Lenkwinkel, was theoretisch Vorteile in Abfahrts- und Kurvenverhalten bringt, praktisch aber für 95% aller Fahrer von keiner grossen Relevanz ist. Wichtig: Das Cannondale ist zahm genug für den Alltagsfahrer, sein wirkliches Potenzial liegt aber klar im sportlichen Strassen fahren; egal ob schnell hoch, schneller flach oder noch viel schneller halsbrecherisch steile Passstrassen runter.
Wie fährt es sich
Nachdem ich die letzten zwei Jahre ein Basso Diamante der neusten Generation gefahren bin mit welchem mich eine innige Liebe verbindet war der Umstieg auch ein Umgewöhnen; wie ein sich herantasten in einer neuen Beziehung. Nicht nur der Rahmen fährt sich anders. Auf den Basso Rennrädern hatte ich für die meiste Zeit Aluminium Laufräder montiert, welche nicht nur anders bremsen aber auch ganz andere Dämpfungseigenschaften aufweisen als die Carbon Laufräder welche auf dem vom Rennshop Wüthrich zur Verfügung gestellten Testbike montiert kamen. Mit dem neuen Rahmen kam also nun mein erstes richtiges Langzeit Erlebnis mit Kohlefaser Laufrädern. Nicht, dass ich Carbon Räder nicht kannte, aber ich versuchte mich immer ein bisschen vor ihnen zu drücken…das «drücken» war nun also vorbei.
Eigenschaften an die ich mich gewöhnen musste, die nichts mit Anbauteilen zu tun hatten, waren die etwas andere Sitzposition auf dem Cannondale mit einer um 15mm höheren Front, und eine Geometrie die ähnlich aber doch anders ist; um ein paar Millimeter längere Kettenstreben (3mm), ein ganz klein wenig höheres Tretlager (4mm) – wenn das Cannondale aggressivere Abmasse als der Durchschnitt der Grand Tour Renner hat, so personifiziert Basso Geometrie Aggressivität. Die Lenkerhöhe des Cannondale ergab sich, vom Rahmen weg, aus dem formschön konisch geformten 25mm hohen Carbon Steuersatzabschluss plus zwei 5mm Spacern unter dem Vorbau; nach Standard Massabnahme von Hans Wüthrich eine gute Höhe und besonders auf längeren Touren auch sehr angenehm zu fahren – eigentlich perfekt. Aber da war dieser kleine spürbare Unterschied zum Basso beim Kurven fahren und in Abfahrten der mir nicht in den Kram passte. So fing ich an die Geometrien des Diamante und des SuperSix Evo unter die Lupe zu nehmen und fand die oben beschriebenen Unterschiede. Kurzerhand entfernte ich zwei 5mm Spacer und schon war ich bis auf 5mm an der Lenkerhöhe des Basso dran. Und was genau hat’s gebracht? Eine Körpergewichtsverlagerung nach vorne und nach unten; mehr Druck auf dem Vorderrad und ein tieferer Schwerpunk allgemein – das traumhafte Kurvenverhalten und Abfahrtsverhalten wie ich es vom Diamante her liebe!
Mit einem Gesamtgewicht von 6.7kg in Grösse 56cm, inkl. Pedalen und Bidonhalter, ist das SuperSix Evo HM das ein Bergkönig was man besonders Berg hoch und bei Beschleunigungen durch die Spritzigkeit und den Vorwärtsdrang des Velos wahrnimmt. Hochfahren ist kein Thema; Geometrie und Fahrposition passen extrem gut für die steilen Rampen in der Schweiz und in Taiwan; Traktion am Hinterrad ist auch an steilen Rampen im Wiegetritt enorm gut – auch hier helfen die extra kurzen Kettenstreben und das tiefe Tretlager beim Handling. Aus dem Stand von der Ampel weg verbiegt sich ausser meinem Oberkörper und der Fratze in meinem Gesicht nichts; alle Kraft geht in Vortrieb rein. Der 120mm tiefe und mit 70mm Griffweite sehr kurze Compact Lenker in Kombination mit dem 100mm Vorbau laden dazu ein den Lenker mehr als gewohnt unten in der Kröpfung zu halten; ein Effekt den ich, als Erstlings-Kompaktlenkerfahrer, nicht erwartet hätte, der aber grad beim geradeaus fahren mit 35+km/h klare aerodynamische Vorteile bringt.
Auf schnellen flachen Passagen beim halten im Lenkerbogen und verstecken vor dem Wind kommen denn auch die vibrationsdämpfenden Eigenschaften der SAVE «Microsuspension» so richtig zum tragen. Beim SAVE handelt es sich um ein von Cannondale entwickeltes Konzept welches Formgebung und Materialstruktur dazu verwendet an bestimmten Orten von Rahmen, Gabel und Komponenten Vibrationsdämpfende Elemente; einfach gesagt – gewollten Material Flex in eine bestimmte Richtung, einzubauen um Ermüdung beim fahren vorzubeugen oder einfach eine angenehmere Fahrt zu gewährleisten. Das Konzept findet sich übrigens auch in anderen Rennrädern und Mountainbikes und auch Trekkingrädern von Cannondale wieder. Ich war überrascht wie sehr das SAVE Vibrationsdämpfungs Konzept sich in die Fahreigenschaften des ganzen Rades integriert, ohne sich aber in den Vordergrund zu rücken und etwa die Steuerpräzision oder die Antrittseffizienz negativ zu beeinflussen. Während besonders die Vorderradgabel und der Hinterbau doch auf den ersten Blick einen sehr filigranen Eindruck hinterlassen zeigt sich ganz klar; hier waren «Meister der Kohlefasermattenverlegung» am Werk; denn Carbon hat gegenüber allen anderen Materialien, und besonders gegenüber Metallen, eben den riesigen Vorteil, dass verschiedene Lagen der Karbonfasermatten in verschiedenen Winkeln angesetzt werden können und man so in eine Richtung «Flex» einbaut währenddessen die Struktur in einer anderen Richtung brutal steif ist.
Gerade auf den Strassen von Taiwan die gespickt sind mit kleinen Schlaglöchern und auf die Strasse gemalten fiesen, tiefen, eng aufeinanderfolgenden «Speedbumps» welche einen so richtig durchschütteln wenn man mit einer gewissen Geschwindigkeit daherkommt macht sich die Vibrationsdämpfung bemerkbar, indem ich meinen festen Griff am Lenker weniger lockern muss und meinen Hintern fast gar nicht vom Sattel entlasten muss auf diesen holprigen Strassenabschnitten. Diese Eigenschaften ziehen sich weiter in die härteste aller Prüfungen; die Abfahrt. Da meine Beine zu schwach sind um das SuperSix auf der Geraden oder Berg hoch zu quälen, muss ich einen anderen Weg finden das Rad an seine Grenzen zu bringen: Gewicht mal Geschwindigkeit hoch zwei = Beschleunigung oder im Klartext – in bester Sagan Manier die Strasse runter und mit 85km/h um die Kurven rum und schauen ob und wie sich die Fliehkräfte auf dieses Superleichtgewicht einzuwirken vermögen. Was soll ich sagen…das SuperSix fährt sich wie auf Schienen. Das Bike fährt sich enorm präzis und die SAVE Vibrationsdämpfung hilft die Spitzenbelastung einiger fieser Bodenwellen mitten in einer meiner Lieblingskurven hier in Taichung, Taiwan, um gerade so viel zu reduzieren, dass das Rad mit 75km/h in der Kurve nicht flattert; heisst ich komme mit zusätzlichem Speed aus der Kurve weil ich meine Aeroposition besser einbehalten kann.
Ich bin bisher nur knapp über 300km mit dem Cdale SuperSix gefahren, habe einige kleine Adjustierungen gemacht; Sattelneigung und Position vorne-hinten leicht justieren, Griffweite der Bremshebel und Luftdruck der 700C*25mm Schwalbe One Reifen anpassen, und zuletzt eben noch die tiefere Lenkerposition, um mich jetzt wirklich in jeder Fahrsituation wohl und sicher zu fühlen. Längere Touren um die 120km – 150km werden sicher noch gewisse Qualitäten des Rades zum Vorschein bringen und eventuell nach kleinen Veränderungen verlangen, aber im groben und ganzen gehe ich davon aus, dass die bisher gewonnenen Gesamtfahreindrücke die wohl wichtigsten und erwähnenswertesten sind. Je mehr ich von jetzt an mit dem SuperSix Evo unterwegs bin umso mehr werde ich mich an dieses gewöhnen, wie das in einer Beziehung eben von statten geht, und das Fahrverhalten und meine Gewohnheiten mit dem SuperSix werden dann, zusammen mit den meines geliebten Basso Diamante als neue Referenz gelten für das nächste zu fahrende Velo.
P.S. Falls Du Interesse daran hast zu sehen wo ich mit dem SuperSix überall rum toure, schau gern auf meinem Strava Profil vorbei: https://www.strava.com/athletes/14151101.
Quellen Nachweis:
Rennshop Wüthrich (2016) Cannondale SuperSix Kollektion [Online] Available from: http://www.rennshop.ch/index.asp?searchfor=SuperSix&start=0&ShopAction=searchshop (Accessed: 22 November 2016).
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Strava (2016) Martin Wuethrich Profile. Available from: https://www.strava.com/athletes/14151101 (Accessed: 22 November 2016).
Vintage Cannondale (N.D.) Website. Available from: http://vintagecannondale.com/catalog/ (Accessed: 22 November 2016).
Zusätzliche Links:
Arthur, D. (2016) ‘Cannondale SuperSix Evo Hi-Mod Dura-Ace 1’, Road.cc [Online] Available from: http://road.cc/content/review/196496-cannondale-supersix-evo-hi-mod-dura-ace-1 (Accessed: 25 November 2016).
Bridgewood, O. (2016) ‘Cannondale SuperSix Evo Hi-Mod Team’, Cyclingweekly, 6 September [Online] Available from: http://www.cyclingweekly.co.uk/reviews/road-bikes/cannondale-supersix-evo-himod-team (Accessed: 25 November 2016).
Jekel, M. (2016) ‘Cannondale SuperSix Evo Black Inc. im Test’, Tour Magazin, 25 Februar [Online] Available from: http://www.tour-magazin.de/raeder/rennraeder/test-2016-allrounder-cannondale-supersix-evo-black-inc/a43039.html (Accessed: 25 November 2016).
Yozell, M. (2015) ‘First look: Cannondale SuperSix Evo Hi-Mod’, Bicycling.com, 30 June [Online] Available from: http://www.bicycling.com/bikes-gear/reviews/first-look-cannondale-supersix-evo-hi-mod (Accessed: 25 November 2016).