Bergkönig Gstaad – Teil 2

 

Bergkönig Event

Als wir im März anfingen mit den Vorbereitungen für den Event schien der Bergkönig, der am letzten August Wochenende stattfinden sollte, noch eine Ewigkeit weit weg. Dann, ganz plötzlich waren es nur noch anderthalb Wochen bis zum Stichtag. Bis zum Schluss hatten dann auch mein Bruder Tom und ich einen fahrbaren Untersatz; seines ein «gibeli» gelbes Wüthrich Stahl Rennrad welches uns ein Kunde zum Geschenk gemacht hatte, ich ein baby-blaues Chesini, eine italienische Boutique Marke aus Verona, mit schönsten Campagnolo Komponenten und ledereingebundenem Lenker.

Am Eventwochenende war der Laden bis um 14:00Uhr offen. Nach Ladengschluss ging’s schnurstracks gen das Berner Oberland zu. Erster Stopp: Palace Hotel Gstaad fürs Bergkönig Apéro im Palace Garten. Welch ein Bild in diesem klassischen Setting. Da sassen einige im Rasen, dort standen andere mit einem Gläschen Champagne im Grüppchen zusammen; Velokäppchen, Retro Anlege…manche im Velo Outfit mit anliegendem Shirt und engen Radhosen, andere in Jeans und T-Shirt; alle in einen romantischen Esprit der guten alten Zeiten gehüllt. Es hatte ein bisschen etwas Magisches an sich. Die Groupe Sportive Wüthrich war, wenn auch noch nicht ganz vollständig, vor Ort und markierte in ihren Marineblauen Outfits eine schöne Präsenz.

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Bild 1: Die Mannschaft vor dem Palace Hotel, im Palace Garten.

Dann war Sonntagmorgen. Viel zu schnell für meinen Geschmack, aber das könnte ich jeden Tag sagen wenn’s früh aus den Federn geht. 7:30Uhr Besammlung im Startgelände, 8:00 Start zur grossen Runde und 8:30Uhr zu den Pedaleur de Charme Runden war der Zeitplan. Einige von uns hatten denn auch für die grosse Runde angemeldet, einige für die Varianten des charmanten Pedauleurs.

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Bild 2: Hans Wüthrich mit Urs Freuler / Bild 3 – 5: Die GS Wüthrich Vintage Truppe

 Um 8:00 Uhr Punkt entlud sich Aschi Grab’s Pistole zum Startschuss der grossen Bergkönig Runde welcher auch ich mich entschieden hatte anzuschliessen. (Anm.: Ernst «Aschi» Grab, ein Bäckermeister der ganz besonderen Sorte den man zu Zeiten meines Vaters einfach kennen musste, gekleidet in Frack und Zylinderhut und speziell für den Event angereist, verstarb ein paar Wochen nach dem Bergkönig Event an Herzversagen während seiner Lieblingsbeschäftigung, beim Velofahren).

Durch Gstaad, der Saane entlang nach Saanen, über den Flughafen und einen Waldweg nach Rougemont…und in der ersten technischen Passage wurde klar, dass auch die mit Romantik umschwelgten Vintage Velos nicht gefeit sind gegen Plattfüsse und rausgefallene Ketten. Ohne selber Schaden zu melden fuhren wir vorbei. Wir, das heisst mein Bruder Thomas und ich. Unsere Gruppe hatte schon früh aufgesplittet, ein paar die einzeln fuhren, andere die in Zweier- und Dreiergruppen fuhren. Schön war’s die markanten blauen Wüthrich Wolltrikots über die Landschaft verstreut zu sehen. Erstaunlich, schon damals, ganz ohne Pink, stachen die Wüthrich Trikots aus der Menge heraus. Am ersten Kontrollposten trafen wir uns alle wieder. Eine ordentlich ungeordnete Bande an Velofahrern versuchte eine dieser Spezies Mensch eher unbekannte Maschinerie, welche einer Orientierungslauf Kartenstempelmaschine sehr ähnelte, zu bedienen und war dabei bedingt erfolgreich…aber dafür umso freudreicher.

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Bild 6: Der erste Kontrollposten in Montbovon

Nach dem ersten Kontrollposten in Montbovon, bis wohin es angenehmerweise mehrheitlich abwärts ging, kam dann die erste schöne Steigung…wortwörtlich gemeint, denn die Aufwärtsgrade waren grad noch angenehm für einen halbwegs gut trainierten Fahrer und die Landschaft war einfach traumhaft; die Steigung schlängelte sich den Hängen entlang die meist geteerte Bergstrasse hinauf, ab und an mit kurzem Untergrundwechsel auf Schotter um einen wach und aufmerksam zu halten, links und rechts begleiteten einen üppig grüne Bergwiesen mit friedlich grasenden Kühen, einmal sogar mit «Live Cow Show» mitten auf der Strasse. Der Anstieg mündete, zumindest vorübergehend für die allermeisten, am Lac de l’Hongrin. An diesem idyllisch gelegenen Bergstausee befand sich denn auch der zweite Kontrollposten der, dank dem Anstieg und dem stark auseinander gezogenen Fahrerfeld um ein vielfaches weniger nervös war als der erste. Kurz später kam auch schon der erste Verpflegungsposten. Ich möchte fast behaupten, dass das alleine Grund genug sei an diesem Event teilzunehmen; Brot und Wurst und Käse, dazu feiner Ramseier Apfelmost. Da der Event ja kein Rennen war, und mit solch einem schönen Buffet vor Augen, nahmen wir uns ein bisschen mehr Zeit als unbedingt nötig und genossen den Gaumenschmaus und vergassen dabei fast die Zeit. Nichts desto trotz, wir hatten noch eine lange Strecke vor uns, also weiter durchs Oberland auf unseren Stahlrossen….

 

Bilder 7 – 9: Tom und Tinu auf der Strecke

Ein weiterer kurzer Aufstieg, dann eine erste kurze Abfahrt. Für mich, leider leider, war die Abfahrt etwas kürzer als für die meisten. Tom und ich fuhren die Betonplatten besetzte Strasse gemütlich nebeneinander hinunter. Um eine leichte Rechtskurve fand ich mich dann auf der falschen Seite der Trennung zweier Betonplatten; die Situation falsch eingeschätzt versuchte ich die Trennlinie der zwei Platten in einem wohl viel zu flachen Winkel einfach zu  überqueren nur um festzustellen, dass meine zwei Vintageräder schier perfekt in die Rille zwischen den Platten passten und ich abrupt richtungswechselnd wie auf Schienen plötzlich nicht mehr der Strassenrichtung folgte sondern in der Rille gen Strassenrand und Wiese zu gesteuert wurde. Kaum hatte ich angefangen mit der Vorbereitung mich im Gras hinzulegen um eine fatale Hangabfahrt zu vermeiden, da wurde die Fahrrille zu schmal, was dazu führte, dass mein da noch vollkommenes echt Vintage Chesini Rad mit den wundervoll verflochtenen und verlöteten Speichenlaufrädern auf Campagnolo Nabe zum vollkommenen Stand kam und mich, der den plötzlich auf mich wirkenden Kräften nichts entgegen zu setzen hatte, nach vorne unten über den Lenker katapultierte. Da ich aber mit festgezogenen Pedalriemen fuhr und wohl doch einiges an Geschwindigkeit hatte als ich zu Fall kam war mein Abflug nicht das Ende der Geschichte, denn mein Zufallkommen über den Lenker und der daraus resultierende Zug an den festgemachten Pedalen generierte genug Energie um das bébé-blaue Chesini mit ledereingebundenem Lenker hinter meinem Bruder her zu werfen und ihn, abbremsend und 15m weiter unten zum Stehen gekommen, am Arm zu streifen wo ein Teil des Stahlrosses an seinem Unterarm eine tief klaffende Schnittwunde hinterliess.

Benommen und wohl auch ein wenig unter Schock raffte ich mich auf. Bewegen konnte ich alles, wenn auch sich mein Kopf nicht ganz richtig anfühlte, die Nase schmerzte und meine Lippen merklich angeschwollen waren von einem Sturz der zumindest teilweise wohl mit meinem Gesicht abgefangen wurde. Wenigstens war ich nicht direkt auf den Kopf gefallen (der Würstlihelm hätte wohl weniger Schaden davon getragen als mein Schädel). Tom brachte mein Velo rüber und beide, klar ein bisschen verdutzt vom gerade geschehenen standen da und versuchten uns ein Bild zur Lage zu verschaffen. Noch weit von einem Plan entfernt tauchte ein VW Bus oben an der Strasse auf. Reflexartig signalisierten wir dem Bus zu stoppen. Das Fahrzeug hielt denn auch an und aus dem vom Jahrgang her sehr zum Bergkönig Event passenden Bus stiegen zwei die ich hier einfach als Engel beschreiben möchte. Danièle und Michael zögerten nicht lange den Verbandskasten rauszunehmen, verarzteten zuerst mich und dann auch Tom, dessen Verletzung wir erst durch das Zukommen der beiden Helfer bemerkt hatten. Danièle und Michael offerierten mich ins Thal runter zu chauffieren wodurch mein Bergkönig dann offiziell zu einem frühzeitigen (und für mich persönlich zu einem etwas Enttäuschenden, um nicht zu sagen frustrierenden) Ende kam. Meine angeschlagene Moral, in Verbindung mit einem brummenden Schädel, machten mich zu einem nicht sehr gesprächigen Fahrgast auf der Rückfahrt nach Gstaad, und auch beim Abschied von meinen beiden Rettern in Not fand ich nicht viele Worte. Im Nachhinein möchte ich mich einfach nochmals bei Euch bedanken für Eure selbstlose Hilfe. Wenn ich das nächste Mal jemandem in Not begegne hoffe ich die gleiche Selbstlosigkeit und Hilfsbereitschaft aufbringen zu können die Ihr beide mir gegenüber gezeigt habt.

War meine Odyssey zu Ende gegangen, so ging sie für Tom munter weiter. Mit offener Wunde am Unterarm nahm er den zweiten Teil des Bergkönigs in Angriff. Irgendwo zwischen Les Diablerets und Feutersoey verweigerte ein Speichenkopf seinem Vintage Hinterrad den Dienst worauf die Speiche sich mit dem Wechsler anlegte und diesen auch zu besiegen wusste. Langer Rede kurzer Sinn; Wechsler weg, Kette kürzen und mit einem Eingänger im einzigen und gleichwohl grössten Gang den letzten Hügel erzwingen um als mein stiller Held am einen Arm verletzt und am anderen mit Karensalbe verschmiert den Bergkönig zu bezwingen. Auf gut Neudeutsch – an epic day on the bike, einen den wir wohl nicht so schnell vergessen werden ; )

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Bild 10: Tom hat den Bergkönig bezwungen

Bergkönig 2018:

Der Bergkönig wird am Wochenende des 25. & 26. August 2018 wieder stattfinden. Dieses Jahr wollen wir mit 30 Teamfahrern hin. In Wüthrich Wolltrikots und Wollhosen, auf Stahlrössern mit nicht indexierter Rahmenschaltung und Körblipedale gemacht für Schuhe mit Ledersohlen und eingenagelten Schuhplatten. Und Du, Du kommst auch gleich mit. Aber für nächstes Jahr habe ich mir ein Ziel gesteckt; den Bergkönig zu bezwingen, die ganze Strecke zu fahren, und dabei möglichst nicht hinzufallen ; )

Ueli Anken mit Nussgipfel
Ueli Anken mit einem Riesen Nussgipfel von Aschi Grab

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