Road to Taiwan KOM – die Tage vor der Veranstaltung
Meine Frau Yvonne und ich reisten schon am Donnerstag Abend an für die Veranstaltung am Samstag. Mini Ferien nennen wir das. Ein Tag entspannen und die Idylle von Hualien an der ruhigen Ostküste von Taiwan geniessen. Unser Hotel war nur einige hundert Meter vom Startgelände entfernt, vom Fenster hatten wir direkten Blick aufs Meer. Der einzige wichtige Termin am Freitag war die Startnummernausgabe. Zum Abendessen hatten wir in einem Aboriginal Restaurant gebucht und genossen noch ein gutes Mal mit viel Fisch und Fleisch, und einer grossen Schale Reis für mich so dass ich doch irgendwie sagen konnte ich sei am vorbereiten für den Event Tag. Dann kam die Nacht und es war Zeit zum schlafen…doch es schlief nicht und schlief nicht und schlief nicht, bis ich dann irgendwann zwischen 1:00Uhr und 1:30Uhr doch erschöpft genug war und einschlief. Obwohl ich es meiner Frau gegenüber mehrmals verneint hatte; irgendwie war ich wohl doch ein wenig nervös gewesen wegen der bevorstehenden Veranstaltung. Wie dem auch sei, um 4:30Uhr klingelte der Wecker: Gesicht waschen, Sonnencreme auftragen, Chamois Creme grosszügig applizieren, in die Velokleider schlüpfen, Morgenessen, Velo und Verpflegung etc. schnappen und ab an den Start.
The Road to Taiwan KOM
Urs und ich im Startgelände
Am Samstag den 14. Juli um Punkt 6:00Uhr ging die Bergerklimmung offiziell los, mit einem langsamen Start des 600 Mann und Frau starken Feldes und einer sehr langsamen, wenn für mich persönlich auch sehr nötigen, 45 minütigen Aufwärmphase hinter der Rennleitung, der Küstenstrasse entlang, von Hualien gen die Taroko Schlucht zu. Nach 18 Kilometern über die Taroko Brücke, einmal scharf links abgebogen vom Highway Nr. 9 dem Liwu River folgend, dann ein Fahnenschwung des Rennleiters den ich nicht mitbekam und das Rennen war offiziell im gestartet. Von hier weg wurde die Zeit gestoppt. Von hier weg ging es nun stetig den Berg hoch.
Auf der Taroko Schlucht Brücke, kurz vor der Abbiegung in die Taroko Schlucht
150 Herzschläge pro Minute, 6 Stunden lang, und stetig hoch. Ich folgte meinem Herzen um ans Ziel zu kommen. Alle 15 Minuten etwas trinken, eine Banane pro Stunde, die Wattzahl bei 150 – 200Watt halten um meine angepeilten 150 Herzschläge pro Minute nicht zu überschreiten. Das waren die Eckzahlen welche ich stetig auf meinem Garmin nachschaute. Das waren die 15% dieser Erfahrung welche es zuliessen den Rest in seiner absoluten Vollkommenheit zu erleben und zu geniessen. Über die ersten 15%, meinen Puls, die durch meine Beine auf die Pedale übertragene Energie, und die Zeitabstände zum Energie nachfüllen werde ich in ein paar Jahren keine Gedanken mehr verschwenden und ich mag auch den Leser nicht damit langweilen. Die restlichen 85% werden mir fürs Leben bleiben und von denen will ich erzählen.
Denn welch ein Genuss war es eine der schönsten Landschaften überhaupt so kennen zu lernen und zu erleben. Das Wetter war vom Start weg perfekt mit klarer blauer Himmelspracht über uns, vereinzelt gespickt mit kleinen und teils etwas grösseren Wattebällchen. Nicht denen die Regen ankündigen, sondern denen die als Verzierung eines traumhaft schönen Sonnentages dienen. Es war noch früh am morgen als wir in die Taroko Schlucht einbogen, die Sonne hatte es noch nicht bis zu uns runter geschafft. Nicht das es kalt war. In der schattigen Schlucht unten war es mit 27°C am frühen Morgen wärmer als später am sonnigen Berghang. Das faszinierende war das Lichtspiel so früh am Tag, die Sicht weit in die Schlucht hinein und die Hänge hoch brachte die Schönheit dieser einzigartigen Landschaft erst so richtig zur Geltung.
Am Anfang der Taroko Schlucht – ca. 30km der Gesamtstrecke
Mit einem Steigungsgrad von durchschnittlichen 4% – 5% gewannen wir stetig, in angenehmem Mass, an Höhe und mit der Höhe kam auch die Perspektive. Auf einmal schaute ich nicht mehr in eine Schlucht hinein, auf einen Fluss herunter oder Felswände hoch. Auf einmal tat sich vor mir ein Meer aus unendlichem grün und blau, gespickt mit ewigweissen Wölkchen. Der Tunnelblick weichte dem Weitblick, die Landschaft öffnete sich und die Sonne strahlte spürbar ihre Energie auf die Sportler die da langsam und in immer kleiner werdenden Grüppchen die sich windenden Bergstrassen hochkraxelten. Es war ein wahrer Genuss pedalierend und lautlos diese Landschaft hoch zu fahren und mit allen Sinnen diese Erfahrung geniessen zu dürfen.
Wie sich die Perspektive ändert – ca. 50km der Gesamtstrecke
Das letzte Mal mit genug Energie um Selfies zu schiessen – ca. 50km der Gesamtstrecke
‘Die letzten 10km, dort bei der Tankstelle links hoch, dort fängt das Rennen an, von dort an wird’s steil, dort musst Du noch immer fit sein’. Das hatte sich in mein Hirn eingebrannt wie ein Mantra. Urs und Mike, beides Veteranen, beide hatten das Rennen schon gefahren, beide sagten mir während der Wochen vor dem Rennen genau das gleiche, immer wieder und wieder.
Nach 3 Zwischenstopps an regelmässig verteilten Verpflegungsstationen um Bidons mit Wasser und Iso Getränken nachzufüllen und Bananen einzupacken kam dann die Tankstelle und mit ihr die Sagenumwobenen letzten 10 Kilometer. 9% bis 10% durchschnittliche Steigung, kürzere Teilstücke um die 20%, längere Teilstücke um die 14% – 15%. Endlich wusste ich weshalb ich speziell für diese Veranstaltung ein Einfach-Kettenblatt mit 44 Zähnen und eine 11-46 Zähne Kassette hinten montiert hatte. Endlich wusste ich mit absoluter Klarheit weshalb ich mich geschont hatte, weshalb ich meinen Blick so oft auf meinen Garmin gerichtet hatte anstatt die schöne Landschaft zu geniessen.
Höhenprofil der letzten 10km (Taiwan Cyclist Federation, 2018)
Ein Mitstreiter den ich über lange Strecken hinweg immer wieder getroffen hatte, an den ich immer wieder heranfuhr bevor er sich in hartem Gang wieder von mir entfernte nur um 1 – 2 Kilometer später wieder vor mir zu landen, drückte gleich zu Anfang der letzten 10 Kilometer seinen harten Gang zwei richtig Steile Rampen hoch, liess nach jedem Kraftakt einen kleinen Freudenjauchzer raus, und verabschiedete sich nach der zweiten Rampe schlussendlich nach hinten und auf nimmer Wiedersehen. Ich kraxelte beständig und unermüdlich, den Lenker fest in Händen, den Oberkörper nach vorne dem Lenker zu gebeugt, den Sattel nur auf seiner Spitze als stabilisierende Verlängerung meiner Beine mit meinem Hinterteil berührend, den Berg hoch. Selten stehend, meist sitzend, ausser bei den zwei drei allersteilsten Stücken wo es einfach nicht anders ging und ich meine ganze Körperkraft in jeden einzelnen Tritt stecken musste, das Bike auf eine Seite, das Pedal auf die andere Seite dem Boden entgegen gedrückt, bewegte ich mich langsam dem Ziel entgegen. Mein Puls war nun stetig zwischen 150 und 160 Schlägen und auch mal etwas drüber.
Eine knappe Stunde war ich für die letzten 10 Kilometer unterwegs. An den letzten paar steilen Rampen war ich, dank meiner Energiereserven und zu einem grossen Teil auch dank der clever gewählten Übersetzung, einer der wenigen die das Velo nicht schieben mussten. Einen riesigen Unterschied holte ich mit meinen 6 – 7 km/h gegenüber den Marschierenden nicht mehr heraus, aber das Gefühl den Berg hoch zu Sattel erklommen zu haben und nicht entkräftet zu Fuss gab mir eine unerklärliche Genugtuung, eine die wohl nur ein Velofahrer verstehen kann.
Relive ‚Road to Taiwan KOM‘
Link zum Relive Video der die Fahrt in 3D Simulation zeigt
Endlich das Ziel. Das letzte steile Stück hoch, langsam wie nie zuvor über eine Ziellinie, eine Finisher Medaille über den Helmtragenden Kopf gewürgt und an den Hals gehängt, den teuren japanischen Zeitmesschip vom Velo getrennt und das 1’000NT Depot in die Hände gedrückt. Da ist Yvonne, da ist Urs. Ein paar Erinnerungsfotos zuoberst auf dem Berg. Ein Gedanke, ach mir spinnt’s doch so was mitzumachen, ein zweiter, da mach ich wieder mit, ach war das schön. Dann spüre ich langsam die Kälte der Bergluft, fange an zu schlottern. Schnell umziehen, ruhen, den Tag nochmals in Gedanken durchgehen lassen….
Ach ja, am Schluss gab’s noch ein schönes Zertifikat zum nach Hause mitnehmen und auf der Rangliste bin ich unter Martin Weuthrich auf dem 96. Gesamtplatz verewigt (Taiwan Cyclist Federation, 2018-1). Wenigstens stimmte der Teamname – GS Wuethrich!
Quellen Nachweis:
Taiwan Cyclist Federation (2018) Taiwan KOM Challenge [Online] Verfügbar auf: http://www.taiwankom.org/en/index.asp (Zugriff: 15. Juli 2018)
Taiwan Cyclist Federation (2018-1) General Classification – The Road to Taiwan KOM [Online] Verfügbar auf: http://www.cyclist.org.tw/upfile/resultPDF/74/18714205325.pdf (Zugriff: 18.7.2018)
Wüthrich, M. (2018) ‘Road to KOM Taiwan summer edition’, Strava, 14. Juli [Online] Verfügbar auf: https://www.strava.com/activities/1703246468 (Zugriff: 15. Juli 2018)
Wüthrich, M. (2018-1) ‚Road to Taiwan KOM – Martin’s ride‘, Relive, 15. Juli [Online] Verfügbar auf: https://www.relive.cc/view/g22660579285 (Zugriff: 18. Juli 2018)
Zusätzliche Links:
Fretz, C. (2017) ‘Travel: Taiwan KOM Challenge’, Velo News, 28. Okt [Online] Verfügbar auf: https://www.velonews.com/2017/10/feature/travel-taiwan-kom-challenge_450759 (Zugriff: 15. Juli 2018)